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Wow! Episode 50! Und das mit meinem kleinen Rezensionspodcast. Danke an euch Hörer*innen da draußen für die lange Treue und herzlich willkommen an alle, die erst in den letzten Episoden dazugestoßen sind. Ich freue mich, dass ihr immer mehr werdet!
Für diese Episode habe ich mir einen kleinen Rückblick vorgenommen und drei Romane ein zweites Mal gelesen, die damals – kurz vor der Jahrtausendwende – meinen Weg in das Genre geprägt haben: Sperling von Mary Doria Russell, Der Wanderer von Deverry von Katharine Kerr und Die Turing Option von Harry Harrison und Marvon Minsky.
Schon 1998 – meine ich – hatte ich eine Webseite in diesem unserem Netz, die ich mit Buchrezensionen bestückt habe – die kritische Seite. Für diese Episode habe ich daher auch gleich mal die alten Rezensionen rausgekramt, die ich vor gut 20 Jahren zu diesen Büchern geschrieben habe. Die Webseite an sich ist leider nicht mehr online, aber mit Hilfe von archive.org könnt Ihr ihre unterschiedlichen Entwicklungsschritte – und auch meine als Webdesigner und Rezensent – gerne nachverfolgen: Ende 2000, Mitte 2003, Mitte 2009 und schließlich Mitte 2012, mit der Ankündigung von Weltenflüstern.
Sperling von Mary Doria Russell
2019 empfängt die Erde wunderschöne Gesänge von einem anderen Planeten. Die Jesuiten sehen darin einen Auftrag Gottes und rüsten eine Expedition aus. Diese führt jedoch in die Katastrophe: nicht nur für die reisenden Missionare, sondern auch für die Bewohner des Planeten.
Auch zwanzig Jahre später ist „Sperling“ von Mary Doria Russell ein faszinierender und philosophisch-theologisch teifschürfender Roman über den Glauben und das Böse. Der Roman ist intelligent konstruiert und geschrieben, leidet aber am Ende unter einem hohen Tempo und fehlendem emotionalen Wumms.
Damals
Im Jahr 2019 werden auf der Erde erste extraterrestrische Radiosignale empfangen: Wunderschöne Gesänge. Zufälligerweise ist Pater Sandoz, ein jesuitischer Priester und Linguist, einer der ersten, der die Gesänge zu Gehör bekommt. Er ist fasziniert und zusammen mit einigen Freunden und mit Unterstützung seines Ordens gelingt es ihm, eine Expedition zu dem fernen Planeten auszurüsten. Nach achtmonatigem Flug erreicht die Gruppe den Planeten Rakhat. Nach einer eingehenden Phase der Untersuchung landen sie in einem unbewohnten Waldstück. Dort beginnen sie die Erforschung des Planeten. Nach einem Monat beschließen sie, ein verlassenes Dorf zu untersuchen. Während sie dies tun kehren die Einheimischen zurück und es kommt zu einer ersten Kontaktaufnahme. Da die Außerirdischen erheblich größer sind als die Menschen erkennen sie nur den größten von ihnen als Erwachsenen an. Da aber die Kontaktaufnahme mit Fremdlingen, die eine andere Sprachen sprechen, auf diesem Planeten immer über lernfähige Kinder erfolgt wundern sie sich nicht, als Sandoz mit ihnen in Kontakt zu treten versucht. Schnell lernen die Menschen die Sprache und kommen mit den Einwohnern der großen Stadt, aus der die Gesänge kommen, in Kontakt. Dabei entdecken sie, dass die Ruano (mit denen die Menschen als erstes Kontakt hatten) von den Stadtbewohnern nur als Aroma-Lieferanten ausgebeutet werden. Nach einigen Todesfällen ist Pater Sandoz bald als einziger Mensch auf dem Planten und kehrt als körperliches und geistige Wrack zurück zur Erde.
Nicht chronologisch, sondern in Rückblendungen erzählt Russell die Geschichte der Reise von Pater Emilio Sandoz. Sie beginnt damit, dass Sandoz als Wrack auf der Erde ankommt und lässt den Leser seine Qual durchleben als er Stück für Stück die Geschichte vor den obersten Geistlichen seines Ordens ausrollt. Dabei beschreibt Russell ihre Charaktere so detailliert und geheimnisvoll, dass man das Buch schon nach wenigen Seiten kaum mehr aus der Hand legen will. Nach dem sehr guten Anfang flaut das Buch ein wenig ab, gewinnt aber wieder an Fahrt, als die Menschen den Planten Rakhat erreichen. Ab da wird es bis zum Ende immer schwieriger Lesepausen einzulegen. Auch die Beschreibungen der außerirdischen Vegetation und Kultur sind äußerst detailliert und spannend. Russells Meisterstück ist allerdings die Entwicklung, die die Menschen auf dem fremden Planten durchmachen. Diese sind dermaßen nachvollziehbar und beeindruckend beschrieben, dass man meinen könnte, die Autorin hätte dies selbst erlebt. Als roten Faden durch das Buch hat die Autorin den Glauben an Gott gewählt, in dem sich Pater Sandoz geborgen fühlt. Er glaubt, Gott habe ihn auf diesen Planeten geschickt, um mit den Einheimischen Kontakt aufzunehmen. Doch als er am Ende alleine ist wird dieser Glaube in seinen Grundfesten erschüttert. Sperling ist also nicht nur spannend, sondern regt den Leser an einigen Stellen auch zum nachdenken an.
So, wie gute Science-Fiction sein soll: spannend, atmosphärisch und anspruchsvoll
Der Wanderer von Deverry von Katharine Kerr
Der Wyrd ist das unverrückbare Schicksal, das jeden Menschen in Deverry über alle Inkarnationen begleitet. Und so verweben sich das Schicksal des Dweomermeisters Nevyn und seiner geliebten Brangwen, als er ihre Verlobung einseitig löst, um sie zu schützen. Über Jahrhunderte hinweg muss er nun durch das Land rein, um Brangwen – bzw. ihrer aktuellen Inkarnation – dabei zu helfen, ihr wahres Schicksal zu erfüllen.
„Der Wanderer von Deverry“ von Katharine Kerr ist definitiv Fantasy aus einer älteren Generation – es ist aber ja auch von 1986. Trotzdem wirkt es auch 2020 immer noch frisch, regt zum Nachdenken an und kann bestens unterhalten. Die Reihe hat mittlerweile 15 Bände und ich bin stark versucht, sehr bald mit dem zweiten weiter zu machen…
Damals
Selbst eine kurze Beschreibung der Handlung des Romans würde den Rahmen dieser Kritik sprengen, aber so viel kann ich sagen: In dem Königreich Deverry lebt der Dweomermann (eine Art Magier) Nevyn, der ein Gelübde abgelegt hat eine Frau ihrer wahren Bestimmung, dem Dweomer, zuzuführen. Deshalb streift er durch das Reich um die Inkarnation dieser toten Frau zu finden. Als er sie findet, geraten sie in einen für das ganze Reich gefährlichen Dweomer-Krieg. Dies ist jedoch nur die grobe Haupthandlung. In vielen Nebenhandlungen und verschiedenen Zeiten erklärt Kathrine Kerr einige Zusammenhänge der Geschichte. Den Kernpunkt bildet hierbei der Dweomer, die Magie in Deverry, die auch die Wiedergeburt begründet, und das Wyrd, das einem Menschen zugeteilte Schicksal.
Mit Die Wanderer von Deverry liegt mir nun der erste Teil der Chroniken von Deverry vor. Da es sich bei diesem Buch nur um den Anfang eines langen Zyklusses handelt, fällt es mir relativ schwer es gesondert zu bewerten. Jedoch macht schon dieser Roman klar, wie sehr es Kathrine Kerr versteht, die von ihr geschaffene Welt zu beleben. Die Charaktere wirken von Anfang an glaubwürdig und man fühlt sich sofort in die Welt von Deverry hineinversetzt. Hierbei bereiteten mir aber zu Beginn die etwas seltsam (eben Keltisch) anmutenden Namen leichtere Schwierigkeiten. Vor allem, da viele Personen in diesem Roman mit drei verschiedenen Namen und in drei verschiedenen Konstellationen auftreten. So ist es ab und an nötig, im Anhang auf die Namenstabelle zurückzugreifen. Im Anhang findet sich auch ein Glossar, in dem die wichtigsten Begriffe aus Deverry erläutert sind. Auch dieses Glossar zeigt, wie viel Mühe sich Kerr mit ihrer Welt gemacht hat. Man würde ihr nämlich glatt abnehmen, dass es solch eine Welt wirklich gibt. Dieses Buch ist wirklich gut und hat mir, obwohl ich eher Science Fiction Leser bin, äußerst gut gefallen. Als Kritikpunkt meinerseits ist nur anzumerken, dass mir die Kapitel teilweise zu lang gewesen sind und ich damit in gewisser Weise zu weiterlesen gedrängt wurde, was aber nicht immer unangenehm war.
Die Turing Option von Harry Harrison und Marvin Minsky
Kurz vor der Fertigstellung der ersten echten künstlichen Intelligenz wird der Mathematiker Brian Delaney durch einen Kopfschuss schwer verletzt. Er überlebt zwar durch eine OP und ein Computerimplantat, hat aber die Erinnerung an die letzten 10 Jahre verloren. Nun gilt es, seine Entdeckung zu rekonstruieren und die Hintermänner des Anschlags auf ihn zu finden, die im weiterhin nach dem Leben trachten.
„Die Turing Option“ von Harry Harrison und Marvin Minsky ist immer noch ein unterhaltsamer und rasanter Retro-Near-Future Thriller mit klarem Hard-SF-Einschlag. Der Blick auf das zentrale Thema – KI – wirkt heute aber altbacken und eindimensional. Dadurch verliert der Roman heute gegenüber 1992 seine größte Stärke.
Damals
Brian Delaney ist ein genialer, junger Mathematiker der für die Firma Megaglobe an einer ersten echten KI (künstlichen Intelligenz) forscht. Doch kurz vor seinem Durchbruch wird sein Labor überfallen und er durch einen Kopfschuss verletzt und all seine Unterlagen und Prototypen werden gestohlen. Seine Überlebenschancen sind nahe Null, doch die Neurologin Dr. Snaresbrook nutzt viele neue, noch nicht getestete Verfahren, um ihn, und seine geniale Erfindung, zu retten. Dabei ersetzt sie etliche Nervenverbindungen in seinem Gehirn durch ein Computergesteuertes Implantat. Danach müssen „nur“ seine Erinnerungen seit seiner Geburt aufgefrischt werden. Doch als Delaney den Erinnerungen nach als 14-jähriger Notizen seines alten Ichs liest, entscheidet er sich, noch mal „erwachsen“ zu werden. Da das Militär stark an seinen Forschungen interessiert ist, arbeitet er von einem riesigen Militäraufgebot bewacht in seinem alten Labor mit seinen alten Aufzeichnungen, die er von einem mexikanischen Back-Up Server erhalten hat, an seinem Projekt weiter. Dies beschreibt aber nur die Handlung der ersten ca. 250 Seiten. Die Handlung ist zwar nicht besonders vielschichtig, aber trotzdem ziemlich Komplex.
Harrison setzt in seinem Roman keinesfalls auf Effekthascherei oder einen üblichen Ich-weiß-nicht-mehr-wer-ich-bin Plot, wie vom Klappentext glauben gemacht wird. Er beschreibt hingegen viel mehr die Entwicklung des jungen Mathematikers, der als 24-jähriger noch mal von vorne Anfängt. Anfangs lernt er noch mit Hilfe seiner Mutter, doch schon bald will er nicht mehr sein altes Ich rekonstruieren sondern sich neu Entwickeln. Allein dieser Aspekt wäre schon Stoff genug für einen Roman, doch die beiden Autoren füllen ihr Buch mit noch mehr. So wird auch detailliert auf die Forschungsarbeit des Mathematikers an einer KI eingegangen. In diesen Beschreibungen zeigt sich die Mitarbeit des ehemaligen Leiters des Instituts für künstliche Intelligenz am MIT. Die Beschreibung sind durchweg glaubwürdig und relativ gut verständlich, so dass man auf den ersten Blick übersehen könnte, dass es sich bei diesen um Science Fiction handelt. Aber auch das ist den Autoren noch nicht genug, sie zeigen auch noch das Verhalten des Militärs auf, dass nur auf seine Belange achtet, und dabei nur selten Kompromisse eingeht. Zu guter letzt widmen sich die Autoren auch noch einer dezent im Hintergrund gehaltenen Liebesgeschichte zwischen Brian und seiner „Partnerin“. Das Buch wird auch an einigen Stellen Philosophisch, wenn über Fragen wie: „Was ist Intelligenz?“ diskutiert wird.
Die Turing Option gehört eindeutig zu den besten Büchern, die ich bisher gelesen habe. Obwohl der Roman so viele Themen nschneidet ist er keineswegs überladen. Den einzigen Kritikpunkt bietet das dämliche Cover und der Klappentext, der einen einen ganz anderen Inhalt vermuten lässt.